Liebe 2


Nur das, was einen begeistert
macht im Leben Sinn
Das die Flamme zum Lodern bringt
zum Grund der Seele hin

Die Wahrheit wohnt in der Tiefe
in der Seichtheit liegt kein Glück
den belohnt das Leben,
der kehrt zum Herz zurück.

Liebe 1


Du Licht des Lebens
Liebe genannt
drückst dich in Blumen aus
in Wind und Sand

Erhellst was ist in Dunkelheit
machst alles lohnenswert
vergessen lässt den Raum, die Zeit
das Leben wird ganz unbeschwert

Loretta

Loretta knallte mit dem Absatz die Haustür zu. Sie hatte genug von dem ewigen Hinter-dem-Geld-Herrennen. Sie konnte nicht mehr. Hatte sie ein Burn-out? Nein, eigentlich fühlte sie sich frisch und gesund. Es kam ihr nur alles sehr sinnlos vor.
Nachdem sie sich vor Jahren von ihrem Mann hatte scheiden lassen, hatte sie wie verrückt für ihre zwei Kinder und sich gearbeitet. Ihren eigentlichen Beruf als wissenschaftliche Assistentin an der Universität hatte sie noch mit Nebenjobs als Übersetzerin, Babysitterin und zeitweise sogar als Putzfrau ergänzen müssen.
Nun waren ihre beiden Kinder über zwanzig und bereits ausgezogen. Sie lebten mit ihren jeweiligen Partnern zusammen und jobbten und studierten.
Natürlich zahlte Loretta ihnen noch Geldzuwendungen, aber aus den gröbsten Zahlungen war sie raus. Das Geld musste im Wesentlichen nur noch für sie selbst und ihre Katze reichen.
Für eine neue Partnerschaft hatten ihre Kräfte in den letzten Jahren nicht gereicht. Sie hatte letztendlich keine Energie zum Leute kennen lernen gehabt oder gar für Dates mit unbekannten Männer. Es hatte vor zwei Jahren einmal einen Flirt mit einem älteren Studenten gegeben, der auch zu etwas näherem Kontakt geführt hatte, aber eine Liebe war nicht draus geworden.

Als Loretta ihre Tasche müde in die Ecke warf, fühlte sie deutlich, dass sie so nicht mehr weiter machen wollte. Was war der Sinn ihres Lebens? Arbeiten, um am Leben zu bleiben? Wofür?
Ihre ebenfalls arbeitssamen Freunde lebten alle für die paar Wochen Urlaub im Jahr oder für einen Abend im Kino oder für viele Abende vor dem Fernseher. Loretta schaute ebenfalls viel fern, da sie abends über keinerlei  Kraft mehr für aufwändige Unternehmungen verfügte. Der verfluchte Wecker würde sie am nächsten Morgen auch nur wieder hochquälen, und im Gedanken daran kam auch keine Lebensfreude oder Unternehmungslust mehr auf.

Konnte man nicht mal ein Sabbatjahr einrichten? Oder einfach alles verkaufen und auswandern? Zum Beispiel nach Tibet, wo man in einem Kloster meditieren könnte. Oder mal den Jakobsweg lang laufen. Sie ließ sich auf die Couch fallen. Der Fernseher ging wie von selbst an. Sie konnte sich gar nicht erinnern, ihn angestellt zu haben.

Die nervige Werbung dröhnte an ihr Ohr. Dann folgten die Katastrophen der Welt, die man sich als gebildeter Normalbürger ja auch anzuhören hatte. Keine Nachrichten wissen - das ging natürlich gar nicht. Warum eigentlich nicht? Mir ginge es dann besser, dachte Loretta.
Im Anschluss kam ein Spielfilm. Sie merkte, wie sie innerlich etwas abstarb und sich vom Film einlullen ließ. Der Film bediente viele Frauen- und Männerklischees. Loretta merkte, wie sie sich innerlich ärgerte und ihre gesammelte Unzufriedenheit wuchs.

Sie machte den Fernseher aus und sah sich ungehalten in ihrer Wohnung um. Die gesamte Einrichtung stammte noch aus Zeiten ihrer Ehe. Die Kinderzimmer waren noch für die Kinder bereit, falls mal wieder eines bei ihr einziehen oder zumindest nächtigen wollte. Die Wohnung war ordentlich und sauber, aber der bewusste Anblick steigerte ihre Unzufriedenheit noch mehr.

Sie stand auf und ging zum Wohnzimmerschrank ihr gegenüber. Sie öffnete eine Schranktür und sah hinein. Da standen noch zwei Cognacflaschen  von ihrem Ex-Gatten. Eine Schachtel Zigaretten von ihm lag da auch schon über zehn Jahre unangerührt.

Im Nebenschrank fand sie ein paar alte Computerspiele von ihren Kindern, alte Videofilme aus alten glücklichen Tagen der Familie und zwanzig Jahre lang nicht angerührte Bücher.

In Loretta stieg Wut hoch - Wut auf die Familie, die sie verlassen hatte, Wut auf dieses ewige Arbeiten, nie Zeit für sich selbst haben, das Leben verpassen.
Sie knallte die Schranktür zu und warf sich wieder auf die Couch. Der Fernseher schien schon wieder von selbst angegangen zu sein. Der langweilige Klischeefilm lief erneut.

Loretta hielt sich erst die Augen, dann die Ohren zu. Es gelang ihr nicht, den Fernseher erneut auszuschalten. Sie hatte das Gefühl, die Realität nicht aushalten zu können, wenn er nicht lief. Der Film zeigte ein Paar, wie es arbeitete, ins Kino ging und in den Urlaub fuhr. Gab es denn gar nichts anderes auf der Welt zu tun? War das der Sinn des Lebens?

Loretta hatte das Gefühl, zu ersticken. Sie versuchte, mit Hilfe der Fernbedienung auf ein anderes Programm umzuschalten. Die Finger gehorchten ihr nur schwer, während sie keuchend atmete. Auf dem anderen Programm schien der gleiche Film zu laufen, oder zumindest ein ähnlicher. Loretta sog verzweifelt Luft ein, die sich ihrer Lunge zu widersetzen schien. Mit letzter Kraft und sehr kurzatmig, gelang es ihr, die Balkontür zu öffnen. Gierig sog sie die frische Winterluft ein, während hinter ihr im Film die Darsteller lachten, weil sie auf Mallorca gelandet waren und zwei Wochen  im Hotel verbringen würden. Nach den zwei Wochen würde der Alltagstrott dann erträglicher sein.

Loretta hielt sich mit beiden ausgestreckten Armen am Türrahmen fest. Sie hatte das Gefühl, gleich über die Brüstung in den Schnee hinaus zu fallen. Dieses Gefühl löste Angst und Sehnsucht zugleich in ihr aus. Wie wäre es, dem ganzen zu entfliehen und allem einfach ein Ende zu setzen? Aus dem zweiten Stock würde sie sich aber vielleicht nur die Beine brechen und müsste alles noch weiter aushalten. Hinter ihr war die Werbeunterbrechung. Der richtige Joghurt macht glücklich. Die richtigen Schuhe machen glücklich. Die richtige Reisegesellschaft macht glücklich. Dieses Glück gibt es nur mit Geld, das heißt arbeiten, arbeiten, arbeiten, um sich dieses kleine Glück zu kaufen.

Plötzlich drehte sich Loretta um. Sie stürzte sich nicht über die Brüstung sondern stakste etwas steif und immer noch kurzatmig zu ihrem Fernsehgerät. Sie sah auf das flimmernde Bild, ohne es zu erkennen. Sie hörte auch nichts mehr. Sie war in so etwas, was man vielleicht wütende Trance nennen konnte, nicht mehr ganz sie selbst.

Sie hob ihren Fernseher hoch, drehte sich damit um und riss dabei den Stecker aus der Wand und den Receiver vom Tisch. Dann stemmte sie ihn steifbeinig und keuchend zum Balkon und warf das Gerät über die Brüstung. Sie gab ihm noch mit der rechten Hand einen Stoß, und der Fernseher segelte zwei Stockwerke tief in den Schnee. Unten gab er nur ein dumpfes Geräusch von sich. Offensichtlich war er weich gelandet.

Loretta atmete tief und hielt sich mit beiden Händen an der Brüstung fest. Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie zitterte. Sie wusste genau in ihrem Inneren: das hier war kein banaler Wutausbruch oder kindischer Trotzanfall gewesen. Hier war nicht irgendein Einrichtungsgegenstand in verzweifelter Rage aus dem Fenster geflogen - nein.

In ihrem Leben war hier etwas endgültig zu Ende gegangen. Endlich. Sie würde nie wieder so leben wie vorher. Sie würde nie wieder so sein wie vorher. Hier war der Anfang. Sie wusste nicht genau, wovon der Anfang. Sie wusste auch nicht, wie es gehen würde. Aber so wie vorher nicht mehr. Das war sicher.